Empört Euch! – Stéphan Hessel

Stéphane Hessel- Empört Euch!Ullstein 2011,  32 Seiten.

>> „Empört…Euch!“ gibt sich als wenig emotionale Streitschrift für Euch, die Ihr vergessen wollt, welche Freiheiten die französische Republik erkämpft hat. Unter dem Faschismus in das britische Exil getrieben, formuliert Hessel zusammen mit anderen unter Generale de Gaulle die Rechte des neuen Frankreich: die Pressefreiheit, das Verbot der Diskriminierung, ein Recht auf Erziehung, ein System der sozialen Gerechtigkeit. Rechte, die heute auch in vielen wohlhabenden Staaten durchlöchert sind. Gründe für Empörung gibt es also viele. Und jeder soll sich empören, soll – wie Sartre es lehrte – Verantwortung nicht delegieren, sondern für sich und damit für die geforderte Gerechtigkeit tragen. Grundgedanken der Résistance gehen später unter der Mitwirkung von Hessel in die Erklärung der UNO Menschenrechte ein, womit es zum ersten Mal gelingt, die Unantastbarkeit nationaler Interessen einzuschränken und unter das Diktat der Menschlichkeit zu stellen.
Hessels aktuelle Empörung gilt vor allem der Unterdrückung Palästinas – fast scheint es – mit einem gewissen Verständnis für terroristische Vergeltung. Aber sei Gewalt nicht auch eine Kapitulation vor der Gewalt oder eher das einzige Mittel um Gewalt zu beenden? Am Ende folgt der Aufruf zum Aufstand in Friedfertigkeit, der nur mit einer Abwehr von der puren materialistischen Orientierung zu schaffen sei.
Alle Gedanken scheinen wahr und richtig und schon so oft vorgebracht. Wir können zu allem Ja sagen, allerdings ohne durch Argumente bestärkt zu werden, weil sich die kurze Schrift auf sprunghafte Assoziationen und Oberflächlichkeit beschränkt. Der argumentative Faden ist nicht wirklich erkennbar. Ein engagierter Autor von 94 Jahren, Überlebender deutscher KZ Folter und Veteran der Résistance und Koautor der UNO Menschenrechte. Schon deshalb meint man, allem zustimmen zu müssen. Das gleiche Werk eines namenlosen Mitvierziger würde man wegen der fehlenden Tiefe allerdings nur mit flüchtigem Ausatmen quittieren. Ein Zeitdokument, welches dank seiner unglaublichen Resonanz in 40 Sprachen übersetzt mehr über die Befindlichkeit der Gegenwart und ihrer Menschen aussagt als über den Autor und politische Ideen. Vermutlich gibt es eine große Sehnsucht nach Integrität und Persönlichkeiten, die einen Weg weisen. Und während die Streitschrift verblasst, obsiegt der Respekt vor ihrer Wirkung. Note: 3 (ur)<<

>>Gut gemeint reicht nicht mehr aus. Was angesichts der 1,7 Millionen Auflage von Stephane Hessels „Empört Euch“  (in 22 Sprachen übersetzt) verwundert, ist die Aufmerksamkeit dieses Textes nicht nur in Frankreich. Sie gilt aber wohl eher dem Respekt gegenüber einer Person, die mit über 90 Jahren seit den Erfahrungen der Resistance nicht müde wird, uns Nachgeborene zu ermahnen, dem Unrecht zu widerstehen. Monsieur Hessel -wir habens verstanden, wir stimmen zu. Konkreteres  – Fehlanzeige. In der Tat, es gibt genügend Gründe sich zu empören. Wird Empörung zur Aktion, wird aus der geballten Faust in der Tasche Widerstand gegen die Staatsgewalt, dann verlassen wir den intellektuellen Diskurs (Schreibtisch, Hörsaal, LQ) und die Schauplätze tragen Namen wie „Platz des Himmlischen Friedens“ (welch Euphemismus) 1989 oder „Tahrirplatz“ 2011 mit Tragödien aber auch Hoffnungen.  Hessels zweiter Aufruf „Engagez-Vous“ (ein reines Interview!) bleibt ebenso wie „Empört Euch“  eine differenziertere  Analyse von gesellschaftlichen Widersprüchen  und  Lösungsmöglichkeiten schuldig – vielleicht ist gerade deshalb beides so glänzend zu vermarkten. Note: enttäuschend (ai)<<

>>Wer diesen beeindruckenden, fast 95 -jährigen Mann mit unglaublicher Vita heute reden hört und sieht, mit seiner glasklaren Präsenz und seinem Charme, dem verbietet sich eigentlich kleinliche Kritik an einem als „Streitschrift“ publizierten schmalen Bändchen. Der Befund quer durch alle Bereiche ( Finanzkrise , Klima, Palästina, Arm und Reich,…) ist hinlänglich bekannt. Sollte sein Aufruf, sich darüber zu empören, tatsächlich „die Welt bewegen“ , wie der Verlag meint, könnte man darüber nur glücklich sein. Bleibt die Frage, ob dem tatsächlich so ist und ob die von ihm geforderten „friedlichen Mittel“ ausreichen werden, die Welt auch zu verändern. Dass Empörung nicht reicht, ist wohl auch Hessel klar. Folgerichtig erscheint schon die nächste Schrift,  “ Engagiert Euch“. Die Dialektik fordert einen dritten Schritt. Nur welchen? Note: keine (ün)<<