Der Sommer ohne Männer – Siri Hustvedt

Siri Hustvedt- Sommer ohne MännerRowohlt 2011, 300 Seiten.

 >>„Die Banalität der Geschichte – die Tatsache, dass sie jeden Tag ad nauseam (auf Deutsch: ‚bis zum Erbrechen‘ wäre verständlicher aber weniger bildungsbeflissen gewesen) von Männern wiederholt wird, die plötzlich oder allmählich entdecken, dass, was IST, nicht SEIN MUSS, und dann handeln, um sich von den alternden Frauen zu befreien, die sie und ihre Kinder jahrelang versorgt haben – dämpft nicht das Elend, die Eifersucht und die Demütigung, die die Verlassenen überkommt.“
Was uns Siri  Hustvedt über dieses Motiv der betrogenen Frau (Elend, Eifersucht, Demütigung) am Beispiel der Mia-Boris Beziehung zu erzählen weiß, bleibt dürftig und ließ meine Augen vielfach ohne jeden Genuss und schon gar nicht Erguss „in ihren Höhlen nach oben rollen“. Nach 30jähriger Ehe durchläuft die Professorin für Komparatistik und bekannte Lyrikerin Mia Fredricksen aus New York durch das „Pause-Abenteuer“ ihres Ehemannes Boris Izcovich (ein bekannter Neurowissenschaftler und Rattenmann) eine kurze aber schwer psychotische Krise um sich danach in den heimatlichen Mutterschoß eines Provinzstädtchen in Minnesota zurückzuziehen, wo ihre betagte Mutter zusammen mit ihren „fünf Schwänen“, fünf verwitweten Frauen zwischen 84 u. 102, „der Elite des Ostflügels von Rolling Meadows“ in einer vornehmen Seniorenwohnanlage „in einer intensiven Gegenwart lebte“. Dem männerlosen Sommer Mias und der fast männerlosen Gegenwart dieses Seniorinnensextetts  (allein ein rollstuhlfahrender Mitbewohner namens Oscar Busley erfährt ein kurze Erwähnung, wie könnte es auch durch die eingeschlagene Perspektive des Romans auch anders sein, als lüstern Enthemmter) gesellt sich gleichsam als jugendliches Pendant ein Grüppchen von 7 pubertierenden Mädchen („Über die prickelnde Aussicht hinaus, Mitglieder des anderen Geschlechts zu treffen, herrschte zwischen ihnen jedoch noch eine zusätzliche Spannung…“), denen die New Yorker Professorin Mia  6 Wochen  „creative writing“ vermittelt.  Während sich das Seniorinnen- grüppchen eher als Solidargemeinschaft (nicht nur in der Form eines monatl. Lesezirkels) erweist, entgleitet Mias Schreibkurs  zunehmend zum Zickenkrieg, der rund um die Periodengeschichte Alice‘ alle Züge einer Mobbinggeschichte trägt, aber dank Mias Geschick durch eine reichlich konstruierte literarische „Hexenzirkel“- Rollengeschichte aufgearbeitet wird.  Neben Alt und Jung dient Mia eine dritte, allerdings kurze Episode ebenfalls als Spiegel von „Geschlechterbeziehungen“. Erweckt Mia zunächst den Eindruck in der Nachbarfamilie Pete, Lola, Flora u. Simon zeigten sich alle Strukturen einer gewalttätigen männerdominierten Unterschichtfamilie, so entpuppt sich das Ganze als „Seifenoper“ mit reichlich kitschigem Happyend. Alle drei Geschichten führend Mia in unterschiedlicher Weise zurück auf Spuren der eigenen Vergangenheit  und Kindheit und erfüllen damit  auch eine therapeutische Funktion, auch im Bezug auf Sexualität. Dabei finden die „knospenden Körper“ der pubertierenden Mädchen, die Mia  als „indirekter Beschleuniger“ dienen ihre erotische Vergangenheit  einem geheimen Büchlein anzuvertrauen, eine Entsprechung in den Enthüllungen der 94jährigen Abigail, die Mia ihre erotischen Gobelinstickereien offenbart. Mias Enthüllungen bleiben demgegenüber mager und selbst ihre Erinnerung an den Bibliotheksquickie mit Professor B. kommt nicht ohne den bildungsbeflissenen Zusatz aus, es sei geschehen während ihrer Beschäftigung mit dem “ leichteren“  Kant, der „Kritik der praktischen Vernunft“, nicht der „Kritik der reinen Vernunft“ (oder ist dieser Hinweis gar ironisch gemeint?)
Eine ganz andere Ebene betritt die Autorin  mit der skurrilen „Niemand-Briefgeschichte“, die vor allem durch Pseudotiefsinn auffällt (auch die Autorin bekennt „Niemand verstand Niemand“). Niemands Reflexionen stellen den ärgerlichen Höhepunkt in einer Reihe intellektueller Verirrungen Mias dar (ihre eigenen Gedichte –merkwürdigerweise hat Niemand hier ein erstaunlich klares Urteil  „hirnrissig, Scheiße“- Namedropping durch die abendländische Literaturgeschichte,  Freud- und Kierkegaard- Verschnitt, abenteuerliche Orgasmus-Theorien im Tierreich, Columbus Klitoris-Entdeckung etc.), die das Gegenteil von dem bezeugen, was die ZEIT-Kritik der Autorin Siri Hustved bescheinigt: “intellektuelle Demut“. Was aber, so fragt der von der Erzählerin immer wieder ins Handlungsgeschehen mit einbezogene Leser, ist der Grund, dass „die Banalität der Geschichte“ (nämlich dass ein Mann eine jüngere „Pause“ nimmt) eine vermeintlich glückliche Wendung nimmt und Boris, nachdem er Mia reichlich verkitscht „den Hof macht“ wieder zurückkommt (doll dieser Schluss, auch sprachlich erstaunlich: „Ein Auto fährt in die Einfahrt“ weiß die gemeinsame Tochter Daisy zu berichten – „Es ist Dad, Mom….Na,na, willst du nicht aufmachen?….Mach du auf……Er soll zu mir kommen“. Die „ABBLENDE“ auf S.300 kommt viel viel zu spät, aber die amerikanische Leserin aus gut situiertem Milieu sieht diesen Frauenroman sicherlich ganz ganz anders. Note: 5 (ai)<<

>>„Ein Sommer ohne Männer“ suggeriert ein sorgenfreies Licht, das über die Sommersonnenwende hinaus strahlt. Oder eine anhaltende Hitzewelle, der nicht nur fruchtbarer Regen sondern auch ein guter Teil der Schöpfung, eben Männer, fehlt. Oder schlicht eine zufällige Lücke. Siri Hustvedt macht daraus Kreuzungspunkte zahlreicher Lebenslinien in einem Sommer im mittleren Westen Amerikas. Mädchen, Ehefrauen, Greisinnen, denen gemeinsam ist, dass ihnen Männer fern, fremd oder abhanden gekommen sind. Mädchen ohne Jungs, Frauen ohne treue Ehemänner, Senioren ohne lebende Gatten. Mia, die Literaturprofessorin und Ich-Erzählerin ist eine von Ihnen. Mia steht unter dem Schock einer Pause – einer Pause in ihrer Ehe. Eine Pause, die ihr Ehemann zu einem Exkurs mit einer jungen neurobiologischen Kollegin beansprucht. Mias Zusammenbruch ist so gründlich, das sie sich in der Psychiatrie vergisst und sich erst bei einer Flucht in den heimatlichen Mutterschoß tausende Kilometer entfernt mühsam an sich selbst erinnert. Hier im mittleren Westen spinnt sie vorsichtig neue Fäden, eingemietet in ein fremdes Haus mit häufigen Besuchen bei ihrer im Seniorenstift lebenden Mutter und einem Lyriklehrkurs für von den Sommerferien vergessenen Kleinstadtgören. In dem neuen Geflecht wird sie für die überforderte Mutter Lola aus der Nachbarschaft mit ihren zehrenden Kleinkindern und dem unbeherrschten Ehemann zur Lebensstütze. Dem Seniorenkreis „Fünf Schwäne“ ihrer Mutter ist sie ein willkommender Gast, der nicht nur mit Literaturbeiträgen den Alltag auf „Rolling Meadows“ anreichert, sondern auch vertrauensvoller Zuhörer für nicht-geahnte Intimitäten hoch betagter Damen ist. Die pubertierenden Schülerinnen überrascht Mia mit provokanten Annäherungen an Wort und Sprache, die sie in der Lyrikwerkstatt zu unkonventionellen Gedicht-Basteleien einsetzen lässt. Im Laufe des mehrwöchigen Kurses gewinnt Mia ihre Stärke zurück und wird zur weisen Mediatorin in einem hässlichen Zickenkrieg, der unter den konkurrierenden Mädels Unfrieden stiftet.
Neben den leibhaftigen Beziehungen steht Mia virtuell in Kontakt mit ihrer bestärkenden Psychotherapeutin, der liebenden Tochter Sarah und einem Mr. Niemand, der vielleicht auch eine Frau ist und sie zunächst mit beleidigenden, später borderline-philosophisch ausufernden Emails bombardiert. Ihr Mann Boris sendet ebenso Signale, die im Laufe der Monate und dem Verlust seiner Pause reuevoller klingen. Und weil auch ein Sommer ohne Männer einmal zu Ende geht, steht Boris im Frühherbst wie erhofft wieder vor der Tür und alles wird für die genesende Mia vermutlich wie früher.
Der Leser wird sprachlich durchaus unterhalten, doch erschließt sich ihm nicht, welche (literarisch gehaltvollen) Bezüge zwischen den Bezugsgruppen bestehen, ob die gerade aufbrechenden Konflikte der Jugend die gelösten Probleme der Senioren sind und ob Mia gerade durch das Eingebundensein zwischen beiden Gruppen die Lösungen für ihre Lebenspause findet. Ebenso offenbart sich zwischen den realen und den virtuellen Kontakten keine Verbindung, so dass dieser Sommer ein Panoptikum bleibt, in dem Wachsfiguren ohne inhaltlichen Bezug zueinander ausgestellt werden. Schade. Selbst die seelische Genesung von Mia wird nicht offensichtlich aus den Begegnungen gespeist. Auch wenn eindrucksvolle Textpassagen und Konstruktionen eingestreut sind wie die sprachtherapeutische Konfliktlösung unter den Schulmädchen oder die homoerotischen Masturbationsstrickereien der uralten Abigail, wird für einen Sommer ohne Männer dann doch ein anderes Buch empfohlen.  Note: 3/4  (ur) <<

>> Mia , Literaturwissenschaftlerin , natürlich preisgekrönt wird von ihrem Mann Boris, Neurobiologe,  natürlich weltberühmt, verlassen. Er braucht eine“ Pause“.  Mia ist tief verletzt und kommt vorübergehend sogar in die Psychiatrie. Sie zieht schließlich zu ihrer 87-jährigen Mutter, die mit ihren rüstigen, vitalen Freundinnen im Altersheim lebt. Zugleich hält sie vor Ort einen Sommerkurs im kreativen Schreiben für 7 pubertierende Mädchen, deren subtiles Beziehungsgeflecht sie einfühlsam durchschaut. Die allzu häufig eingeflochtenen Zitate aus der Weltliteratur und das permanente namedropping nerven allerdings schon gewaltig. Ohne Kirkegaard, Meister Eckhart, Hegel, Schelling, Heidegger, Goethes Faust und den Buddhismus scheint bei Huistvedt wenig zu laufen. Kein Wunder bleiben auch Versprechungen über ein erotisches Tagebuch, das sie in einer Art Rachfeldzug gegen Boris schreiben will, leer. Die Deutung  von Mia’s Beziehung zu ihrem Vater als Schlüssel zu ihrem Verhalten gegenüber Boris wirkt trivial und wenig überraschend. Selbst bei den durchaus enttäuschenden Betrachtungen über Sex muss uns die Ich Erzählerin darüber aufklären, dass sie den schwierigen Kant“, den der reinen Vernunft, schon mit 20 Jahren gelesen hat. Auch die seltsame Figur des Mr. Niemand, die ihr E-Mails schreibt, scheint nur eingebaut zu sein für  intellektuelle Höhenflüge und als Nachweis der Belesenheit der Autorin. Es geht am Ende in dem E-Mail-Verkehr um schwierigste letzte Fragen des Seins , nachdem  anfangs noch von Scheiße und hirnrissiger Poesie die Rede war .Von intellektueller Demut, wie in der Besprechung in „Zeit“ versprochen, keine Spur. Im Gegenteil. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Mutter, mit dem eigenen Älterwerden dann wieder besser gelungen, auch die Schilderung der Mobbing-Affäre in ihrem Literaturkurs hat mir gefallen.
Die Erklärung für die auf den ersten Blick überraschende Wendung im Buch- Boris kehrt zurück und  Mia nimmt ihn auch wieder – mag trivial und kitschig klingen, ist es aber keineswegs:  „Die Erklärung war Zeit, all die Zeit, die wir miteinander verbracht hatten“. Note: 3 (ün)<<

>> Arme Mia. Ihr Boris hat sie verlassen. Nach dreißig Jahren. Wegen einer Französin mit „signifikantem Busen, der echt, nicht künstlich war“ (Seite 11). Dessen Signifikanz wird aber nur einen Sommer lang wirken. Im Herbst kommt Boris wieder heim. Das Buch sei eine Komödie, sagt die Autorin (ZEIT-Literatur, März 2011). Ach so. Doch bevor Boris zurückkommt, wird Mia temporär verrückt. Danach zieht sie in ihr Heimatdorf nach Minnesota, wo ihre Mutter in einem Altersheim lebt.  Die Schilderung der Mutter und ihrer vier betagten Freundinnen („fünf Schwäne“) zählen zu den gelungensten Passagen des Romans. Fast kontrapunktisch dagegen gesetzt der Lyrik-Workshop mit sieben jungen Mädchen. Einfühlsam wird ein Zickenkrieg beschrieben. Auch die mittlere Generation fehlt nicht: Nachbarin Lola mit zwei kleinen Kindern und einem höchst komplizierten Mann. Hin und wieder taucht auch Tochter Daisy bei den Eltern auf. Typisch oder stereotypisch? Viele solcher Beziehungskatastrophen habe sie in ihrem Umfeld beobachten können, erzählt die Romancière. Bei ihr zuhause sei aber alles bestens, ihren dreißigsten Hochzeitstag habe sie mit Paul kürzlich in einem Hotelzimmer gefeiert. Ist doch schön. Ich habe diesen aus vielen Splittern zusammengesetzten Roman als Zumutung empfunden. Das fast  unablässige Namedropping  berühmter Persönlichkeiten, die unsäglichen, selbst gebastelten Gedichte, die  „Zeichnungen“ der Schriftstellerin, ihr verunglücktes Sex-Tagebuch.  Nicht zu vergessen ihre inhaltlich fragwürdigen Ausflüge in die Genderforschung und Neurowissenschaft, ihre Reflexionen über Gehirnunterschiede zwischen Mann und Frau. Männer, und so gesehen hält der Titel auch fast was er verspricht, kommen nur als die Versender von E-Mails vor. Für die Erinnerung gilt das  allerdings nicht. Vieles ist einfach etwas zu egozentrisch und primadonnenhaft geschrieben. Die Übersetzung war vermutlich nicht leicht. Kann mir jemand sagen was ein „Werdepfad“ ist?
Die Botschaft des Romans: “Meine Antwort lautet: Ho! Ho! Ho!. Der Kummer mit den Geschlechtern hört nie auf“ (S.161). Vielleicht sollten wir versuchen,  „unsere“ Bücher etwas sorgfältiger auszuwählen. Die iranische Liebesgeschichte war doch auch eine Qual, oder?  Note: 4/5   (ax)<<