Eine iranische Liebesgeschichte zensieren – Shahriar Mandanipur

liebesgeschichteUnionsverlag 2010, 319 Seiten.      

 >> In dem Versuch, dem westlichen Leser die Absurditäten des islamisch-postrevolutionären Literaturbetriebs des Iran vor Augen zu führen, konstruiert Mandanipur einen Werkstatt-Roman aufbauend auf einem Tabuthema. Es geht um Liebe, um Mann und Frau, die sich gegenseitig anziehen aber nicht begegnen dürfen, um Zensur und den schleichenden Verrat an literarischen Freiheiten. Kurzen Romanpassagen, in denen sich die Studierenden Sara und Dara versuchen zu finden, werden langatmige Abwägungen, wie der Zensur gerecht werden könnte, gegenübergestellt. Immer neue Varianten einzelner Textabschnitte werden formuliert und verworfen, unterbrochen von Sachhinweisen zur iranischen Gesellschaft: kleine Mädchen dürfen keine farbigen Schnürsenkel tragen, Männer und Frauen bleiben bei Hochzeiten getrennt, Musikinstrumente dürfen in Medien nicht erkennbar sein, Moralwächter walten mit Willkür in Privatleben. Auch wenn viele dieser Details erschreckend interessant sind, zerfasern sie nachhaltig den Romanverlauf, der ohnehin dürftig daherkommt. Wohlwollend mag dem Werk zugute gehalten werden, dass es vielleicht dürftig bleiben muss, will es die engen Grenzen der Zensur lesbar oder besser erleidbar machen. Liebe und zwischengeschlechtliche Träume lassen sich offensichtlich nur mit vibrierenden Schmetterlingsflügeln und zart sprossenden Lotusblütenblättern revolutionskonform darstellen. Metaphern, die den dumpfen Atem längst überholter Zeiten ventilieren. Das abendländische Literaturempfinden wird dabei jedoch erheblich strapaziert, so dass sich beim Leser zur schleichenden Müdigkeit zunehmend Unmut gesellt. Der Plot. Dara liebt platonisch Sara. Durch versteckte Zeichen in Werken einer Leihbücherei wird auch Sara auf Dara aufmerksam. Es folgen gebremste Begegnungsversuche in Parks und Krankenhäusern, verstockte Telefonate und Internetkontakte. Zwischenzeitlich lässt ein Millionär als potenziell idealer Ehepartner Sara schwanken. Dara wird beim sehnsüchtigen Warten auf Sara verhaftet. Der großmütige Millionär kauft Dara frei, verzichtet selbstverständlich auf Sarah und entschwindet aus dem Roman. Das Paar spricht in Daras Wohnung miteinander, während ein Gnom als Inkarnation böser Weissagungen im Garten verendet und die Wendung zum Guten andeutet. Ende.
Ein Buch, das befremdet. Das Konzept eine überraschende Idee. Die Ausführung eine quälende Flickschusterei. Der wiederholte Versuch, literaturwissenschaftliche Grundkenntnisse einfließen zu lassen, wirkt bemüht. Und zu guter letzt die offensichtlich lustlose Übersetzung von Frau Ballin – vielleicht war sie als Mitglied es mitteleuropäisch-fremden Kulturkreises ebenso gequält?  Note: 4/5 (ur)<<

>>„Umschlingen, vereinigen sich.“ Gleich in der zweiten und dritten Zeile des Buches finden sich durchgestrichene Worte. Später ganze Sätze. Die werden auf jeden Fall gelesen. Eine pfiffige Idee des Autors. Eine Liebesgeschichte im bigotten Gottesstaat Iran. Begleitet von einem allmächtigen und doch dümmlichen Zensor, der dem jungen Paar Sara und Dara das Leben schwermacht. Und natürlich auch dem professoralen  Autor, der meint, seine umfassende literarische Bildung und Belesenheit immer wieder durch lange Namensnennungen beweisen zu müssen. Ein komplexes Buch, dessen drei Ebenen sich mit etwas Mühe dekonstruieren lassen, so man denn will. Das Buch hat bei mir  manches vergrößert: die  Abneigung gegenüber Religionswächtern, den Respekt vor Menschen, die diktatorischen Systemen widerstehen und die Skepsis gegenüber Rezensionen. Das Buch wird nämlich allerorten über den fünfblättrigen Klee gelobt. Es könnte sein, dass dem Roman die Übersetzung vom Persischen ins Englische und vom Englischen ins Deutsche nicht gut bekommen ist. Ungefähr ab der Mitte hat mich die Lektüre wegen fehlender Struktur gelangweilt, auch wenn der Autor seine Leser/innen gelegentlich direkt anspricht: „Helfen Sie mir.“ (Seite 180) Ausnahmsweise möchte ich Hermann Hesse folgen, der ja mit mir und einem weiteren bedeutenden Mitglied unseres Quartetts den Geburtstag teilt. Er schrieb am 19.November 1934  an Max Picard: „Ist nichts zu loben, so schweige ich.“  Note: 3/4 (ax)<<

>> Als nach der  umstrittenen Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad im Iran Unruhen ausbrachen,  ging der youtube-Tod der Studentin Neda um die Welt.  Dieses Ereignis fungiert in Mandanipurs raffiniert gestricktem Roman als äußere Klammer. Mandanipur nennt die  Studentin  Sara, deren gleich zu Beginn als unmittelbar bevorstehend angekündigter Tod aber seltsamerweise im Roman gar nicht eintritt.  Wie aus Protest gegen einen sinnlosen Tod erzählt Mandanipur die „Liebesgeschichte“ von  Sara und Dara und zwar auf zweifache Weise. Einmal in einem als Fettdruck kenntlichen Teil, der der Zensur vorgelegt wird und der in grotesker Weise verstümmelt daherkommt und sich auch in stilistischer Hinsicht völlig vom restlichen Roman unterscheidet. Mandanipur macht auch damit klar, wie ärmlich und hölzern eine  Liebesgeschichte unter der Zensur einer Diktatur daherkommen muss. Im  anderen  Teil lässt uns der Autor  auf manchmal sehr unterhaltsame Weise an seinem  Schreibprozess teilhaben,  stellt verschiedene Varianten vor, wie sich die Geschichte entwickeln könnte, schildert Begegnungen mit dem gar nicht so unsympathischen Zensor und eben auch den Fortgang der Sara-Dara- Story . Eindrucksvolle Einblicke in die absurden Tiefen und Untiefen eines schlimmen islamischen Regimes inclusive. Dara hat Filmregie studiert und handelt mit verbotenen Videos von Filmklassikern. Dafür bekommt er 2 Jahre fürchterliche Einzelhaft, die er  nur mit Hilfe der Erinnerung an seine Filme übersteht. Er verliebt sich danach in die Studentin Sara, der er sich zuerst nur über einen  geheimen Code in ebenfalls verbotener Lektüre mitteilen kann. Allseits gegenwärtige Sittenwächter machen ihnen das Leben schwer. Als dann allerdings noch der „Freier“ Sindbad, ein reicher Parvenü auftaucht, der um Sara’s Hand anhält und gegen den Dara nach den traditionellen Maßstäben der iranischen Gesellschaft natürlich keine Chancen hat, gerät die Geschichte etwas außer Kontrolle und tritt gleichzeitig auf der Stelle. Der fiktive Zensor Petrowitsch hält dem Autor an einer Stelle zu Recht vor, dass er die Psychologie seiner Figuren nicht im Griff hat. Dagegen kann es sich Mandanipur  nicht verkneifen, dem Leser seine eigene Belesenheit in der europäischen Literatur-und Filmgeschichte etwas zu häufig  unterzujubeln. Das nervt zuweilen, da es für den Fortgang der Geschichte nicht immer notwendig scheint.  100 Seiten weniger wären 100 Punkte mehr gewesen.
Note: 2/3 (ün)<<

 >> Nein, diese Liebesgeschichte von Sara und Dara kann nicht gut gehen. Wer unter den Bedingungen der Zensur in einem Land,  „in dem jede Annäherung, jeder Kontakt zwischen einem Mann und einer Frau, die nicht miteinander verheiratet oder verwandt sind, als Vorspiel zur Todsünde gelten“ (so der Autor Mandanipur S.15), muss an einer Liebesgeschichte scheitern. Mandanipurs Absicht, „die Liebesgeschichte in meiner Heimat herauszubringen“, die daraus folgende notgedrungene Kollaboration mit dem nicht ohne Ironie gezeichneten staatlichen Zensor Petrowitsch, die immer gegenwärtige Schere im Kopf des Autors, der teilweise unter Einbeziehung des Lesers inhaltliche und sprachliche Varianten schon im Vorfeld prüft, verwirft, umschreibt, um sie dann Petrowitsch zur endgültigen Strichfassung  vorzulegen, macht aus den durch Fettdruck hervorgehobenen Passagen der Dara-Sara Erzählung einen Flickenteppich von gescheiterten Begegnungs- bzw. Beziehungs- versuchen, der auch sprachlich weit hinter das vom Autor als exzellentem Kenner der Weltliteratur zu erwartende Niveau zurückfällt. Ginge es Mandanipur allerdings darum zu zeigen, dass die lustfeindliche iranische Diktatur  (Blockwartmentalität von Sittenwächtern einerseits, verbotene Prostitution und Genuss westlicher Pornographie andererseits, bedrückendes Frauenbild etwa am Beispiel der Gewalt u. Erniedrigung in der Ehe) keine literarische Liebesgeschichte möglich macht, der Nachweis wäre ihm gelungen., hätte allerdings keiner 314 Seiten bedurft. Eine Herausforderung ganz anderer Art stellen die vielfachen intertextualen Verweise und filmische Zitate des Autors dar. Von der frühen iranischen Literatur des Sufidichters Nizami über die Schlüsselwerke der Weltliteratur bis zur modernen amerikanischen Filmgeschichte (Alfredo James „Al Pacino“-Film in einer skurrilen Prüfung durch einen blinden Zensor ist ein besonderes Schmankerl des Romans) reicht der respektable Bildungskanon des Autors, der ihm eigentlich immer wieder die Dürftigkeit der eigenen, an Petrowitschs-Norm zu messenden iranischen Liebesgeschichte, vor Augen führen müsste. Es bleibt jedoch beim Einblick von uns Lesern in die Literatur-Werkstatt von Mandanipur, der angesichts der politischen Realität im Iran am Ende sogar seinen Plot und seine Erzählfiguren aus dem Auge verliert. Der Funke der Rebellion Daras gegen den Autor hätte schon früher einsetzen können (müssen), dann wäre mir manches erspart geblieben. Note: 4+ (ai)<<