Wie ein Stein im Geröll – Maria Barbal

Wie ein Stein im GeröllTransit Buchverlag 2007, 125 Seiten.

>>Maria Barbals Roman ist die persönliche Geschichte von Conxa, die als Mädchen in den mittellosen katalanischen Pyrenäen aufwächst und als junge Frau ein bescheidenes Familienglück erlebt, um es schließlich tragisch zu verlieren. Als alte Frau vergeht sie letztlich in der Gesichtslosigkeit der entfremdenden Großstadt. Eine Geschichte, die nicht nur biographische Züge Maria Barbals Verwandtschaft tragen soll, sondern auch das persönliche Schicksal der Protagonistin Conxa in die Wirren des spanischen Bürgerkriegs und damit in eine widersprüchliche historische Epoche der iberischen Halbinsel einbindet. Dreimal muss sie in ihrem Leben von dem wenigen, was sie ihr seelisches Eigentum nennt, Abschied nehmen. Erst wird unter der Armutslast die Dreizehnjährige von den Eltern an die Tante abgetreten. Dann verliert die glückliche Ehefrau durch die mörderische Willkür der falangistischen Milizen ihren Gatten. Im letzten Lebensabschnitt entgleitet der Großmutter schließlich ihre Heimat. In gewisser Weise wird Conxa somit auch zur Inkarnation einer politischen Landesgeschichte, da auch Katalonien lange Zeit leidend und auf der Suche nach Identität viele Verluste hat hinnehmen müssen. Während jedoch Katalonien und allen voran Barcelona in der Gegenwart erstarken, vergeht Conxa gerade in Barcelona in der Identitätslosigkeit.

Erzählt wird die Geschichte aus der unspektakulären Sicht der einfachen, aufrichtigen Frau vom Lande – eine Sicht, die durch ihre Schnörkellosigkeit geprägt ist, die keine Wortgewalt kennt und der die ursächlichen Zusammenhänge politischer und sozialer Verflechtungen weitgehend verschlossen bleiben. Literarisch konsequent folgen die Gedanken einer schlichten, chronologischen Gradlinigkeit und bleiben auf kurze, weitgehend nur einem Thema gewidmete zwei- bis dreiseitige Kapitel begrenzt, wodurch die facettenarme, aber klare Gedankenwelt der Ich-Erzählerin für den Leser noch stärker profiliert wird. Die tägliche Mühsal in den kargen Regionen Kataloniens lässt den Eltern keine Muße und kaum Brot für die eigenen sechs Kindern. Conxa wird der kinderlosen Tante übertragen, die eine Arbeitskraft gut gebrauchen kann. Von Daheim unerreichbar weit entfernt, versucht Conxa sich mit dem Gedanken zu trösten, dass sie der eigenen Familie etwas Gutes tue, da es nach ihrem Fortgehen einen Esser weniger an deren Tisch gebe. Wie ihre aufopfernd sich plagende (aber gefühlsarme) Mutter fällt auch Conxa als rechtschaffendes Mädel auf, das im neuen Verwandtschaftskreis bald ein verbindendes, respektbetontes Familiengefühl entwickelt. Die leibliche Familie wird Conxa erst nach fünf Jahren und nur beiläufig wiedersehen. Das Leben und Arbeiten folgt dem steten Kreis der Jahreszeiten, Conxa reift zur jugendlichen Frau und lernt auf einem Tanzabend den lebensfrohen Handwerker Jaume kennen. Nachdem Jaume Conxas Tante die Übertragung seiner laufenden Einkünfte zusagt, wird ihm gestattet Conxa zu ehelichen. Es folgen ausgefüllte Familienjahre mit drei Kindern bis der politische Freiheitsdrang von Jaume ihn zum Opfer der inzwischen etablierten Franco-Anhänger werden lässt. Während Conxa ihrem eng umschriebenen Biotop verhaftet bleibt und angstvoll auf Unbekanntes außerhalb ihres Horizontes reagiert, stellt Jaume den Gegenpol dazu dar. Zieht Conxa intuitiv die Sicherheit der Freiheit vor, so tritt Jaume begeistert vom republikanischen Gedankengut öffentlich als lokaler Friedensrichter auf und wird nach einem tödlichen Anschlag unbekannter Täter von den Faschisten ermordet. Conxa wird im Zuge der Sippenhaft zusammen mit der ältesten Tochter verschleppt, wochenlang interniert, erniedrigt und schließlich in ihr Dorf entlassen, welches ihr fortan mit Misstrauen begegnet. Ihr Lebenswille ist gebrochen, sie fühlt sich wie ein Stein im Geröll: leblos und nur weiterrollend, wenn der ganze Hang ins Rutschen gerät. Ihre drei Kinder heiraten, die beiden Töchter verlassen die Mutter, Tante und Onkel sterben, in Haus und Seele gefriert die Leere. Der mürrische Sohn Mateu bindet sich an eine empfindsame Frau, die Conxa mit Ablehnung begegnet. Der Generationenvertrag verpflichtet jedoch den Sohn, die alternde Mutter zu versorgen. Als ihm ein Pförtnerloggenposten im fernen Barcelona angeboten wird, ziehen sie in den Moloch Großstadt. Für die junge Generation ist es die lang ersehnte Flucht aus den entbehrungsreichen Härten des Landlebens, für die alte Conxa der letztmögliche Verlust. „Barcelona, das ist ein ferner Himmel und schreckhafte Sterne… Barcelona, das ist niemanden zu kennen…Barcelona, das ist Lärm ohne Worte und ein klebriges Schweigen“. Conxa schreibt ihre Lebensgeschichte aus der Einsamkeit eines siebenstöckigen Hochhauses mit dem Rückblick auf eine einfache, aber letztlich sinnstiftende Heimat, die es für sie nicht mehr gibt, so dass sie mit den Worten schließt: „Barcelona, das ist für mich etwas sehr Schönes. Die letzte Stufe vor dem Friedhof.“

Ein bewegt-stilles und in der Einfachheit berührendes Werk, das in Katalonien mit Recht in den Literaturkanon des Bildungssystems aufgenommen wurde.Note: 2+ (ur)<<

 

>>Arbeit, Liebe und Tod. Diese Dreifaltigkeit bestimmt das Leben von Conxa, der Protagonistin von „Wie ein Stein im Geröll“. Keine ungewöhnlichen Ingredienzien für einen Roman. Die Jahre vor der Zweiten Republik, der Bürgerkrieg, die Franco-Diktatur bilden den zeitlichen Rahmen der in den katalanischen Pyrenäen spielenden Handlung. Mit dreizehn Jahren muss Conxa ihre Familie verlassen, zieht zu Tante und Onkel; eine Esserin weniger am familiären Küchentisch. Sie ist tüchtig, wird zusehends akzeptiert, vielleicht auch weil sie sich fast immer an vorgegebene Strukturen anpasst. Eignet sich also nicht als Identifikationsfigur für den feministischen Stammtisch. Ganz anders Jaume, d i e Liebe ihres Lebens, mit dem sie drei Kinder hat. Er ist Wanderarbeiter, eine Ausnahme im Bauerndorf, kämpft für Veränderungen. Dabei ist er ein rücksichtsvoller Mensch. Wie sollen wir seinen Satz verstehen, „dass alles eigentlich ganz einfach wäre, wenn… Dann schaute er mich an und schwieg….“(Seite 43). Wenn, ja wenn? Conxa, die das Vertraute liebt, erlebt sein Politengagement eher als bedrohlich. Manchmal quälen sie düstere Vorahnungen. Jaume wird am Ende des Bürgerkrieges ermordet und verscharrt. Auch Conxa und ihre Töchter werden deportiert und monatelang interniert. Anrührend wird der nie überwundene Schmerz (weil durch die politischen Verhältnisse tabuisiert) über den Verlust des Partners beschrieben. Als ihr Sohn Mateu den Hof aufgibt und in Barcelona als Pförtner arbeitet, zieht sie mit. „Barcelona, das ist ein ferner Himmel und schreckhafte Sterne“. Conxa kennt Barcelona nur aus der Sicht der Pförtnerloge und als die „letzte Stufe vor dem Friedhof“. Davon gibt es dort einige sehr schöne (für temporäre Besucher natürlich).Es gibt viele Barcelonas. Meines sieht ganz anders aus. Als „Stadt der Wunder“ hat Eduardo Mendoza diese Stadt beschrieben.

Conxa ist keine typische Romanheldin. Aber vielleicht weiß sie intuitiv mehr als viele moderne Menschen von der Schicksalhaftigkeit menschlicher Existenz, von den Illusionen über die Spielräume der sogenannten Lebensentwürfe, der vorgeblichen Autonomie. Nur einmal spielt Conxa Schicksal. Bei der Suche nach einer Frau für ihren Sohn wird sie aktiver als gewöhnlich. Das Ergebnis möge die Leserin/ der Leser selbst beurteilen.

 Kein politischer Roman, kein sozialer Roman, obwohl ein subtiles Soziogramm des dörflichen Lebens gezeichnet wird. Wir erfahren viel über das harte Leben in Gebirgsdörfern, die sozialen Strukturen und Kontraste, die Rolle einer konservativ bis reaktionären Kirche in Gestalt des Dorfpfarrers. Die spanische Sprache taucht nur in negativen Zusammenhängen auf: In der Schule oder aus dem Mund der Franco-Soldaten. Daneben viel Natur. Allein die vielen Namen von Pflanzen und Tieren. Ein stellenweise anrührender Roman, ein Gebirgsroman ohne katalanische Heidi, ein Roman, der nicht geschrieben wurde um verfilmt zu werden.

Unprätentiös und ohne literarische Vexier-oder Collagespielchen, ein Roman, der dem wie hieß er doch gleich Literaturpapst vermutlich kaum gefallen hätte, ein guter Roman also. Note: 1/2 (ax)<<