Am Hang- Markus Werner

K640_am_hangS. Fischer Verlag 2004, 190 Seiten.

 >>Eingebettet in einen langatmigen Dialog begegnen sich zwei Männer, die offensichtlich dieselbe Frau teilen. Allen drei gemeinsam scheint das Dasein am seelischen Hang: zunehmend in Gefahr abzugleiten, schon gestürzt oder sich in der sicheren Talsohle wähnend, um dann doch von der herabstürzenden Lawine unkontrollierter Gefühle erschlagen zu werden.

Thomas Clarin, 35 J., Beziehungen konsumierend, ist Scheidungsanwalt; vermutlich aus Passion, weil er die menschliche Natur für bindungsunfähig hält und der Paarbindung keine Chance gibt.

Felix Bendel alias Thomas Loos, 50 J., ist seelischer Witwer, wuchtig an Gestalt und rhetorischer Präsenz, vereinsamt, Musiker und Lehrer überholter Sprachen; im Normalleben sprachlos geworden.

Beide treffen zufällig in einem Schweizer Berghof aufeinander, kommen schleppend ins Gespräch und können trotz anhaltender Fremdheit nicht unterdrücken, ihre Privatsphäre nach außen zu kehren. Beide sind Zurückgelassene einer an diesem Ort verlorenen Liebe. Clarin lässt Valerie und die kurze Stoßliebe aufleben, welche hier vor einem Jahr ein lustloses Ende fand. Loos beklagt den Verlust seiner Ehefrau Bettina, die er vor einem Jahr durch einen tragischen Badeunfall verloren hatte. Die Liebe sei grenzenlos gewesen, beeinträchtigt lediglich von der körperlichen Empfindsamkeit seiner Frau, die vor allem durch den Blitzschlag-Tod einer Freundin aus dem Gleichgewicht geworfen worden sei. Als dann noch ein Hirntumor drohte, hätte sich eine Persönlichkeitsveränderung eingeschlichen, die ihrer gemeinsamen Beziehung schweren Schaden zugefügt hätte. Wertigkeiten hätten sich verschoben. So wäre am Tag der Diagnose nicht der Tod bedeutungsvoll gewesen sondern das verstimmte Klavier daheim. Sofort hätte sie den Klavierstimmer kommen lassen, der daraufhin geschmackloser Weise auf dem Anrufbeantworter den Wunsch verewigte, nicht nur ihre Füße küssen zu wollen. Das Zwiegespräch unter den Männern verläuft sprunghaft, geprägt von Loos ermüdenden Ausführungen, die – durchsetzt von sarkastischer Intelligenz – einen Weltenhass atmen. Clarin dagegen fehlt die letzte Ernsthaftigkeit. Der gut aussehende Junggeselle mit Neigung zum anspruchsvollen Stil, bleibt leichtlebig der Oberflächlichkeit verhaftet.

Am dritten Tag erscheint Loos nicht zur Verabredung. Es heißt, er sei kommentarlos abgereist. Als sich herausstellt, dass er unter falschem Namen auftrat, drängt sich die prinzipielle Frage nach dem Wahrheitsgehalt seiner Erzählungen auf. Clarins spätere, erotische Annäherung an Valeris Freundin Eva entschlüsselt Clarins Valerie als Loos´ Bettina – beide Männer liebten tatsächlich dieselbe Frau. Zunächst hatte nur Loos/Bendel die schmerzhafte Gleichzeitigkeit erkannt.

Bendel verirrt sich in ein Lügengebäude – vor allem mit sich selbst. Die verlorene Liebe zu seiner Frau war blind verklärt. Den Badeunfall gab es nie – gestorben war Bettina nur in Bendel. Beengt im Ehe-Dasein griff Bettina nach den Todesbegegnungen gierig nach dem Leben. „Ich will keinen Himmel, der am Fenster kleben bleibt“ – sie wollte kein Bild von einem Himmel, sondern den Himmel selbst. Ein erotisches Doppelleben war die Folge. Doch laut Eva war das Blau dieses Lebens nicht das des Himmels, sondern das des trüben Blues, das sich in einem enttäuschten, isolierten Dasein in der Fremde fortsetze. „Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne“ – ohne dass sich der Tag erhellt hätte.

Drei Menschen rutschend am Hang und auch der Leser hat keinen Boden unter den Füssen. 190 Seiten wenig bewegte Männergespräche. Wenig erbaulich und wenig belebend die Raum greifende indirekte Rede, die eine unerfreuliche Lesedistanz schafft. Note: 4+ (ur)<<

Nachtrag. Fast ein Jahrzehnt nach der Erstveröffentlichung erreicht die Verfilmung des Romans die deutschen Kinos. Auch wenn der Film die lückenhafte Komposition der Romanfiguren – vor allem von Valerie / Bettina – nicht korrigiert, so wagt das Drehbuch doch bereichernde Umdichtungen, die die ermüdende Langatmigkeit der Romandialoge auffängt und zudem mit einem bewegten und im Detail gänzlich veränderten Ende aufwartet. Bendel schießt Clarin mit jener Kugel nieder, die laut Filmdramaturgie Bendel für seinen Selbstmord bereit gehalten hatte. Die Ironie des Schicksals wird hier zu einem Kreisschluss bemüht, da Clarin in der Eingangsszene Bendel in der letzten Sekunde davon abhält, sich vor einen Nahverkehrszug zu werfen. Die Rettung des einen Leben, wird folglich zur Bedrohung des anderen. Damit vollzieht der Roman eine raffinierte Umkehr, denn Clarin stahl unwissentlich Bendels Lebensentwurf mit seiner Ehefrau, die in Verkehrung der Wertigkeiten zwar das physische Leben zurückgewinnt aber einen Beziehungstod stirbt.