Der Schwimmer – Zsuzsa Bank

K640_Der SchwimmerFischer Verlag 2002,  285 Seiten.

>>Nach dem wortlosen Abschied und der völlig überraschenden Flucht der Mutter bleiben Vater Kalman, Sohn Isti (6?) und Tochter Katalin (8?) auf dem ärmlichen Lande in Ungarn zurück. Die betont eigenbrötlerische Art des Vaters verdichtet sich darauf zu einer depressiven Unruhe und führt zu einer ein ganzes Jahrzehnt dauernden Odyssee zwischen zufällig gewählten Fixpunkten bei Verwandten und Freunden. Auf der Flucht vor sich selbst bleibt der Vater in nur selten unterbrochener Gemütsschwere in sich gefangen und damit unerreichbar für die Kinder. Beginnend mit dem unerklärlichen Verlust der Mutter werden Isti und Katalin auf einen Leidensweg des immer wiederkehrenden Abschiednehmens verpflichtet. Alle hinterlassenen Steine und Spuren sowie das Auswendiglernen von Zugfahrplänen, die ihnen den Anschluss an die vermisste Heimat suggerieren, bleiben nur Spuren im Wasser, die der Wind und die Strömung sofort verwischen.

Das Wasser ist das ambivalente Element des Romans. Das melancholische, lähmende in sich Zusammensinken des Vaters nennen die Kinder „tauchen“, wie wenn der Vater in den Fluten versinke. Tatsächlich versinkt am Ende des Buches der kleine Isti in den vereisten Fluten eines Flusses und stirbt. Dennoch bleibt das Wasser im Laufe der Irrfahrten der einzige Raum, der Vater und Sohn Momente der Leichtigkeit und unbändigen Freude gibt. Beide teilen nicht nur diese Leidenschaft, sondern auch den krankhaft depressiven Hang, der bei Isti in psychischen Störungen und übersinnlichen Wahrnehmungen erkennbar wird. So wie die Geschichte von Katalin erzählt wird, stellt Isti die eigentliche Hauptperson dar: ein kleiner, kränklicher Junge, der wie sein Vater ins Schwimmen gerät und der halluzinierten Stimme seiner Mutter auf den tödlichen Eisschollen folgt.

Zsuzsa Bauch führt durch eine ungarische Gesellschaft, die von ärmlichen Kleinfamilien mit autoritären, letztlich wenig lebenstauglichen Männern geprägt wird. Frauen sind selten verschroben, eher leidend wie Mutter Katalin oder aber die Lebensretter und Bewahrer wie Zsofi, Anna und Virag.

Jedes Kapitel ist einer Person gewidmet (was gelegentlich unpassend wirkt) und mit Psychogrammen, Lebenshintergründen, Banalitäten und Anekdoten angereichert wie etwa, dass Agi ihrem geisteskranken Mann eine Glocke an den Zeh bindet um nachts verfolgen zu können, ob er aufsteht. Gelegentlich wird jedoch morgens vergessen, die Glocke zu entfernen, worauf auch tagsüber ein feiner Glockenklang in den Weinbergen schwebt.

Die Geschichte bewegt sich in sehr ruhigen Bahnen, selten unterbrochen von aufkeimender Spannung wie bei der Flucht von Katalin 1956 nach Deutschland. Über allem liegt eine gewisse Monotonie und ein seelischer Grauschleier. Umso überraschender, dass die feinfühlige Sprache mit ihrer erstaunlichen Klarheit den gedämpften Inhalt zu einem literarischen Genuss werden lässt. Note: 1– (ur)<<